Rückfälle vermeiden
Viele Menschen glauben, dass ihnen nach einem Rückfall der Wille oder die Kraft fehlen. Doch die Forschung zeigt: Rückfälle lassen sich am besten durch erlernbare Bewältigungsstrategien, neue Gewohnheiten und bewusste Veränderungen vermeiden.
Diese Tipps helfen dabei:
Strategien um einen Rückfall zu vermeiden
1. Leben neu gestalten
Einfach nur auf den Konsum zu verzichten reicht oft nicht aus. Wer sein Leben nicht aktiv verändert, läuft Gefahr, früher oder später wieder mit den gleichen Auslösern konfrontiert zu werden, die den Konsum begünstigt haben. Es wird daher empfohlen aktiv ein Leben so zu gestalten in dem es leichter fällt, auf Konsum zu verzichten. So herausfordernd das klingen mag, liegt darin auch eine echte Chance: Denn wer sich mit seinem Leben bewusst auseinandersetzt und Veränderungen angeht, kann daraus ein erfüllteres Leben entwickeln.
Dabei geht es nicht darum, alles auf einmal zu verändern. Oft reicht es, an ein paar wichtigen Stellschrauben zu drehen. Dazu kann zum Beispiel gehören Menschen, Orte und Dinge zu meiden, die mit Konsum verbunden sind und stattdessen ein soziales und physisches Umfeld aktiv so zu gestalten, dass es die gewünschte Veränderung unterstützt. Auch wenn bestimmte Orte oder Personen mit positiven Gefühlen verknüpft waren, lohnt sich ein kritischer Blick: Tragen sie heute noch zum Wohlbefinden bei – oder machen sie Veränderung schwerer?
Außerdem kann es helfen die eigenen Denkmuster zu hinterfragen.
2. Die eigenen Denkmuster hinterfragen
Häufige Gedanken wie „Ich kann ohne Konsum nicht leben“ oder „Meine Cravings sind unüberwindbar“ stehen dem abstinentfreien Leben oft im Weg und führen oft zu pessimistischen Einstellungen und Ängsten. Um dies zu vermeiden kann es hilfreich sein, diese durch konstruktive Denkmuster zu ersetzen.
Beispiele für hinderliche Denkmuster und konstruktive Alternativen sind:
Mein Problem liegt an anderen Menschen.“
Alternative: „Ich übernehme Verantwortung für meine Entscheidungen und habe die Kontrolle über meinen Heilungsweg.“
„Ich glaube nicht, dass ich das Leben ohne Konsum bewältigen kann.“
Alternative: „Viele Menschen haben es geschafft; auch ich kann Strategien erlernen, die mir helfen, mein Leben ohne Konsum zu gestalten.“
„Ohne Konsum wird mein Leben – und ich selbst – langweilig sein.“
Alternative: „Wenn ich den Konsum weglasse, habe ich wieder mehr Raum für andere Dinge, die meinem Leben neue und tiefere Bedeutungen zukommen lassen.“
„Genesung ist zu anstrengend.“
Alternative: „Genesung ist anstrengend, aber jeder Schritt bringt mich näher zu dem Leben, das ich führen möchte.“
„Meine Cravings werden zu stark sein – ich werde ihnen nicht widerstehen können.“
Alternative: „Die Cravings werden mit der Zeit schwächer und ich lerne Techniken, mit ihnen konstruktiv umzugehen.“
Eine Beratung und/oder Therapie können dabei helfen eigene hinderlichen Denkmuster zu identifizieren und passende Alternativen zu entwickeln.
3. Klare Sicht auf die Situation entwickeln
Gerade in stressigen Momenten neigen viele Menschen dazu, ihren früheren Konsum zu verklären und nostalgisch zu betrachten. Dann kann zum Beispiel der Gedanke aufkommen, dass eine Veränderung zu anstrengend ist, während das Konsumieren „Spaß gemacht“ hat. Die positiven Seiten der Veränderung werden dann häufig ausgeblendet.
Die Herausforderung besteht darin, anzuerkennen, dass ein Leben ohne Substanzen durchaus herausfordernd sein kann. Doch eine aktive Sucht ist langfristig gesehen oft viel anstrengender und belastender. Wäre der Konsum dauerhaft angenehm und einfach, gäbe es keinen Grund, sich davon zu lösen oder damit aufzuhören.
Während die Konsumzeit weiterhin als „Spaß“ angesehen wird, werden die negativen Konsequenzen des Konsums oder der Abhängigkeit häufig ausgeblendet. Gerade zu Beginn des Konsums sind Substanzen für viele Menschen mit angenehmen Gefühlen verbunden. Selbst wenn der Konsum mit der Zeit zunehmend negative Folgen hat, bleiben sie häufig bei der Erwartung, dass der Konsum wieder positive Erlebnisse bringen könnte. Deshalb sehnen sich viele Menschen danach, den „frühen Rausch“ erneut zu erleben.
Gleichzeitig erwarten sie oft, dass ein Leben ohne Substanzen schwierig, langweilig oder emotional belastend sein wird – genau jene negativen Gefühle, die sie ursprünglich durch den Konsum vermeiden wollten.
So kann ein doppeltes Missverständnis entstehen:
- Die Erwartung, dass Konsum weiterhin Spaß machen wird.
- Die Erwartung, dass ein Leben ohne Konsum unangenehm und belastend ist.
Dafür kann es hilfreich sein zu hinterfragen:
- Wenn Sie an die Zeiten ohne Konsum zurückdenken: Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung? Was lief damals vielleicht besser oder einfacher?
- Welche unangenehmen Konsequenzen fallen weg, wenn Sie die Veränderung umsetzen?
4. Aus vergangenen Rückfällen und Rückschlägen lernen
Wichtig ist: Rückschläge sind normal und gehören zum Veränderungsprozess dazu. Sie sind keine Niederlagen, sondern Hinweise darauf, wo es an Unterstützung, Planung oder gesunden Strategien noch fehlt. Und all das lässt sich verändern.
Viele Betroffene interpretieren solche Rückschläge als persönliches Versagen. Oft gehen sie sehr hart mit sich ins Gericht. Das kann einen belastenden Kreislauf auslösen: negative Gedanken über sich selbst, Scham, Schuldgefühle – und schließlich die Suche nach kurzfristiger Erleichterung. Eventuell sogar durch Konsum.
Viel hilfreicher ist es jedoch, aus dem Rückfall etwas für die Zukunft mitzunehmen. Was haben Sie vielleicht getan oder nicht getan, was den Rückfall begünstigt hat?
Dazu zählen zum Beispiel:
- keine gesunden Grenzen gesetzt,
- nicht um Hilfe gebeten,
- Hochrisikosituationen nicht gemieden,
- Selbstfürsorge vernachlässigt.
Statt sich auf das zu fokussieren, was vermeintlich nicht funktioniert hat, kann es hilfreich sein, bewusst den Blick auf Erfolge und persönliche Stärken zu lenken. Das schützt vor Gedanken wie: „Ich habe es wieder nicht geschafft.“. Dafür kann die Frage hilfreich sein: Warum habe ich es in der Zeit davor geschafft meine Veränderungen umzusetzen?
5. Ehrlich sein – besonders zu sich selbst
Ein weiterer Schutzfaktor im Umgang mit Rückfällen ist Ehrlichkeit. Denn Sucht oder problematischer Substanzkonsum geht häufig mit Heimlichkeiten, Ausreden und Selbsttäuschung einher. Wer konsumiert, muss oft lügen – um an die Substanz zu kommen, die Folgen zu verschleiern oder sich selbst etwas vorzumachen. Das Gefühl zu haben, nicht ganz ehrlich sein zu können, ist oft ein erstes Warnzeichen, dass sich ein Rückfall ankündigt.
Ehrlichkeit bedeutet nicht, jedes Detail mit allen Menschen zu teilen. Es geht vielmehr darum, einen persönlichen Vertrauenskreis aufzubauen – etwa mit Therapeut:innen, Freund:innen, Angehörigen oder Menschen aus Selbsthilfegruppen – in dem echte Offenheit möglich ist. Auch der Umgang mit früheren Lügen ist Teil dieses Prozesses. Die Faustregel: Ehrlichkeit ist immer besser – es sei denn, sie würde anderen Menschen ernsthaft schaden.
6. Selbstfürsorge praktizieren
Viele Menschen greifen zu Suchtmitteln, um mit belastenden Emotionen, Stress oder innerem Druck umzugehen. Konsum ist häufig eine Form der Selbstregulation – auch wenn sie auf Dauer nicht hilfreich ist.
Typische Gründe für Konsum sind:
- Flucht vor unangenehmen Gefühlen
- Entspannung nach Stress
- Belohnung für erreichte Ziele
Wer diese persönlichen Auslöser erkennt, kann lernen, sie durch gesunde Alternativen zu ersetzen. Selbstfürsorge ist dabei ein zentraler Baustein.
Warum fällt Selbstfürsorge oft so schwer?
Viele Menschen, die Veränderung anstreben, sind sehr hart zu sich selbst – oft härter, als sie es mit anderen wären. Manche fühlen sich grundsätzlich weniger wert oder stellen ihre eigenen Bedürfnisse ganz hinten an.
Viele gönnen sich dann keine Pause, keine Belohnung und keine Zuwendung. Das macht sie anfällig für Überforderung – und damit auch für Rückfälle.
Wer nur auf das große Ziel hinarbeitet und sich bis dahin nichts gönnt, riskiert, irgendwann zusammenzubrechen.
Selbstfürsorge – in kleinen, regelmäßigen Dosen – hilft, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Entspannungstechniken wie Achtsamkeit, Meditation oder Atemübungen helfen dabei, Konsum zu reduzieren und Rückfälle zu vermeiden. Aber auch Bewegung, Pausen, soziale Kontakte oder kleine Rituale können Selbstfürsorge sein. All das, was einem selbst (auch langfristig) guttut.
7. Konsequent bleiben
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Umgang mit Rückfällen ist die Haltung gegenüber den eigenen Regeln und Vereinbarungen. Ein häufiger Stolperstein ist der Versuch, sich “individuelle Ausnahmen” zu erlauben. Einige machen insgeheim Abmachungen mit sich selbst, z. B. dass sie irgendwann wieder konsumieren dürfen oder dass ein kleiner Rückschritt „nicht so schlimm“ sei. Auch das bewusste Ignorieren von professionellen Empfehlungen kann ein Warnsignal sein.
Wer beginnt, sich Schlupflöcher zu suchen oder bewährte Strategien in Frage zu stellen, gerät schnell ins Risiko. Denn oft steckt hinter diesen Gedanken der Wunsch, dem Prozess der Veränderung auszuweichen .
Sich selbst ehrlich zu fragen, ob man gerade beginnt, sich eigene Regeln zu biegen oder zu relativieren, kann hilfreich sein. Es geht nicht darum, perfekt zu funktionieren – sondern darum, bewusst dranzubleiben und Entscheidung zur Veränderung von Zielen auch bewusst zu treffen.
8. Hilfe annehmen
Veränderung gelingt selten allein. Gerade bei Rückfallprävention ist Unterstützung ein entscheidender Faktor. Menschen, die Beratung in Anspruch nehmen oder regelmäßig eine Selbsthilfegruppe besuchen haben oft eine bessere Chancen ihre gewünschten Veränderungen auch erfolgreich umzusetzen.
Dabei geht es nicht um Schwäche – sondern eher um Stärke: Wer Hilfe annimmt, übernimmt Verantwortung für sich selbst. Das kann bedeuten, einen ersten Gesprächstermin in einer Beratungsstelle zu vereinbaren, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen oder sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Bei DigiSucht lässt sich zum Beispiel ganz unkompliziert und anonym online einen Termin bei einer Beratungsstelle in der Nähe vereinbaren. Mehr dazu erfahren Sie hier.
Quellen und weitere Informationen:
- Yazıcı, A. B., & Bardakçı, M. R. (2023). Factors Associated with Relapses in Alcohol and Substance Use Disorder. The Eurasian Journal of Medicine, 55(1), S75. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11075040/
- Melemis, S. M. (2015). Relapse prevention and the five rules of recovery. The Yale journal of biology and medicine, 88(3), 325. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4553654/
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